GrießStein Nationalpark Berchtesgadener Land 2003

GrießStein
NaturKunst Symposion Wimbachgrieß Juni 2003

Stein ist ein formbildendes Material im Wimbachgrieß. Die Felsformationen von Watzmann, Großem Hundstod und Hochkalter bestehen aus Dachsteinkalk und Ramsaudolomit. Während der Kalk durch Regenwasser gelöst wird und verkarstet, zerlegt die Erosionskraft der Frostsprengung den Dolomit in kleinen Grus, der aus grobem Schotter bis zu feinem Sand besteht. Die mächtigen Schutthalden, welche auf 1300 Meter die Talsohle des durch einen Grabenbruch eingestürzten Massivs bis zu 300 Meter aufgefüllt haben und die bei großen Wassermengen abrutschen, geben dem Tal ein markantes Gepräge. Wie eine schnurgerade Linie ziehen sich die Schuttkegel mit einer konstanten Neigung nach unten. Steine und Geröll prägen die Gestalt und bilden eine dynamische Komponente, welche das Aussehen des Tals durch das Geschiebe immer wieder verändern. Diese Kräfte waren der Ausgangspunkt für die Objekte, die im Juni 2003 beim Symposion zum 25jährigen Jubiläum des Nationalparks in der Nähe der Wimbachgrießhütte entstanden sind.

Die „horizontale Stufe“(ca. 12 x 7 Meter) stellt einen Eingriff in diese Dynamik dar. Als in jeder Richtung waagrechte Fläche durchschneidet sie den Schuttkegel des Grießes. Das abgetragene Material ist zur Gänze am Hang wieder aufgeschüttet. Die so entstandene Ebene ist die einzige plane Fläche im gesamten Tal und macht die Neigungen in alle Richtungen bewusst. So entstand ein Platz, der von erhöhten Standpunkten aus ebenso wie wenn man auf ihm steht, eine ungewöhnliche Erfahrung möglich macht – bis er von der natürlichen Bewegung des Grießes wieder zum Verschwinden gebracht werden wird.

Der Baumbewuchs des Tales ist bestimmt von einer speziellen Föhrenart, der Spirke. Sie hat eine besondere Eigenschaft: wenn sie im Schutt versinkt, treiben aus dem Stamm neue Wurzeln, die das Überleben sichern.
Das Geröll bleibt stellenweise zusammen mit Astwerk an aufragenden Stämmen hängen.
Die „Rampe“ greift dieses Phänomen auf. Unten liegen große Steinbrocken. Der Aufbau nach oben wird immer kleinteiliger bis hin zu feinem Sand.

Die „Steinwirbelspirken“ sind eine Anspielung auf die Steine des Gerölls, welche bei Zeiten mit hoher Wasserführung im Geäst hängen bleiben und die Bäume dann zu boden drücken oder in eine extreme Schieflage bringen. Vom Boden bis zum Wipfel aufgelegte Steine bringen diese Last zum Ausdruck. Wie eine skelettartige Wirbelsäule ziehen sie sich perlenartig über den Stamm – jener afrikanischen Geschichte ähnlich, in der jemand einen schweren Stein auf eine junge Palme gelegt hat, um ihn am Wachstum zu hindern. Nach Jahren, als jener Mensch den Baum wieder aufsuchte, hatte dieser eine stattliche Größe erreicht und trug den Stein in seinem Wipfel. Der Stein war eine Herausforderung, alle Kräfte zu mobilisieren. Trotz oder wegen dieser Last hat er diese Größe erreicht.
Die sechs Objekte bilden im Spirkenwald, durch den sich ein Geröllfeld zieht, in einem märchenhaft – bizarren Umfeld eine Gartenlandschaft von merk-würdiger Anmutung, die durch das Anlegen von steinfreien Zonen noch intensiver wird.

Ganz oben, wo sich das Geröll in den Wald ergossen hat und wo eine Reihe von Spirken durch den Abrieb der Rinde abgestorben sind steht das „Steinhaus“. Die Proportionen orientieren sich am goldenen Schnitt. Mit der alten Kulturtechnik des Steineschlichtens als Trockenbau aufgeführt, knüpft dieses Objekt an volkstümlichen Fertigkeiten an.
Volkskunst und anonymes Bauen einen wichtigen Ausgangspunkt für meine künstlerische Arbeit.
Im „Steinhaus“ sind verschiedene Gesteinsarten aus der geologisch interessanten Gegend in unbearbeitetem Zustand verarbeitet. Auf einem waagrechten Sockel aus Geröll und umgeben von Zapfen, die sich überall auf dem Boden finden, wurden nach oben hin bis zum Dach immer kleinere Steine verwendet; ein Abbild der Fülle an unterschiedlichen Farben , Oberflächen und Strukturen: rote, graue und weiße Kalke, kantige dunkle Radiolite. knollige Flasern, Verfaltungen und Schichtenablagerungen. Das alles fügt sich in der symbolischen Urform eines Hauses zu einer beharrenden, festgefügten Form in einer Umgebung, in der alles im Fluss ist.

Nach dem Symposion entstand ein kleines Haus aus gesägten, geschnittenen und geschliffenen Steinen. Durch diese behutsame Bearbeitung und durch die Politur treten die schönen Farben und Strukturen des Gesteins zutage.
Wolfgang Richter

Titel der Arbeiten

Horizontale Stufe
Rampe
SteinwirbelSpirken
Steinhaus